Krieg und Heimat
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Links und Literatur
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Im Sommer 1947 erkrankte unsere Mutter. Mit einem Handkarren schafften wir sie in die Infektions-Abteilung des Schaakener Krankenhauses. Im Wohnhaus der Familie Brauer, das neben dem Krankenhaus stand, hatten die Russen die Infektions- Abteilung eingerichtet. Bei unserer Mutter wurde Malaria diagnostiziert. Behandelnder Arzt war ein Herr Josef Bürger, der wohl bei der deutschen Wehrmacht Assistenzarzt gewesen war und auch die Russen ärztlich behandelte. Täglich haben wir unsere Mutter besucht und ihr Essbares gebracht; sie ist dann glücklicherweise wieder genesen. Anfang Dezember 1947 mussten wir Schaaken verlassen und uns im Nachbarort Thiemsdorf eine Bleibe suchen. Wir „nisteten“ uns in einem älteren Haus ein, in dem bereits eine deutsche Familie wohnte. Hier herrschte eine regelrechte Rattenplage. Aus der Kartusche einer Granate und einem Stofflappen als Docht hatten wir eine Lampe gefertigt, die mit Rohöl befüllt wurde. Obwohl diese Lampe nachts brannte, ließen sich die Ratten nicht davon abhalten, über uns im Schlaf hinweg zu laufen. Schließlich fanden wir in einem verwaisten Gutshaus eine neue Bleibe.
In Thiemsdorf arbeitete ich in der Kälberversorgung und war einem russischen Brigadier unterstellt, der in deutscher Gefangenschaft in der Nähe von Gießen gewesen war. In deutscher Gefangenschaft hatte er es nicht gut gehabt. Wie wir heute wissen, ist es mit Bestimmtheit auch so gewesen. Er war ein guter Mensch, der es ehrlich mit mir meinte und zu dem ich Vertrauen fasste. Er wohnte mit seiner Frau und seiner Mutter auch in Thiemsdorf in einem Zweifamilienhaus. Meine Aufgabe bestand darin, mit einem einspännigen Pferdewagen für ca. 50 Kälber Heu, Rüben sowie Magermilch aus der Molkerei herbeizuholen. Die Versorgung der Tiere oblag einigen Frauen. Bedingt durch diese Tätigkeit, fiel auch für unsere Familie immer etwas ab, aber auch der Brigadier Peter Puschedeiow bekam davon etwas mit. Zu mir pflegte er immer zu sagen: „Cherbert, wir machen chalbe – chalbe.“ (Anm. Im russischen Alphabet gibt es kein H). Nur durch Diebstahl – organisieren nannte man das – konnte man überleben. So erging es quasi auch den dorfansässig gewordenen Zivilrussen, welche die russischen Behörden mit vollmundigen Versprechungen nach Ostpreußen gelockt hatten. Es war kurz vor Weihnachten 1947, als die Deutschen für ihre Arbeit keine Produkte (Brot, Graupen, Zucker) mehr bekamen, sondern Geld (Rubel). Mein Lohn betrug 8,83 Rubel pro Tag. Davon konnte man sich ein Brot kaufen. Da die Viehversorgung auch sonntags gewährleistet sein musste, habe ich auch sonntags gearbeitet. Inzwischen war ich 17 Jahre alt geworden, und so entwickelte auch ich ein gewisses Interesse für das andere Geschlecht. Unter den Zivilrussen, mit denen wir zusammengearbeitet haben, war ein hübsches, blauäugiges, blondes Mädchen, das auch den Russenjungen gefiel. Sie hieß Galina Mamostowa. Ich schwärmte für sie und ich hatte den Eindruck, dass auch sie mich mochte. Wir sind, sofern es zeitlich möglich war, spazieren und auch nach Schaaken ins Kino gegangen. In Schaaken, im ehemaligen Gasthaus Wegner, war inzwischen ein Magazin (Lebensmittelgeschäft) eingerichtet worden, wo wir jetzt Brot und auch sonstige Dinge kaufen konnten. Den Umständen entsprechend, ging es uns relativ gut. Anfang August 1948 bekamen wir nachts die Mitteilung, dass wir uns an dem darauf folgenden Tag in Schaaken für einen Transport nach Deutschland einzufinden haben. Viele Deutsche waren schon zuvor nach Deutschland abgeschoben worden. Angesichts der Erlebnisse und der gesamten Umstände sowie einer unsicheren Zukunft waren wir nun froh, dass es nach Deutschland ging, obwohl wir uns ja eigentlich in Deutschland befanden. Die Vereinbahrungen und Beschlüsse der Siegermächte waren uns nicht bekannt. Im Laufe des nächsten Tages machten wir uns auf den Weg zur Gaststätte Wegner nach Schaaken, wo wir noch eine weitere Nacht verbrachten. Außer der persönlichen Kleidung und vielleicht noch etwas Wäsche im Kleingepäck durften wir nichts mitnehmen. Den übrigen Hausrat holten sich befreundete Zivilrussen. Am anderen Morgen wurden wir auf Lastwagen des russischen Militärs verladen und nach Königsberg zu einem Güterbahnhof gefahren. Dort begann die Registrierung und Beladung der Güterwaggons. Zuvor wurden wir abermals „gefilzt“. Alles, was wir noch an Fotos oder sonstigen Erinnerungsstücken besaßen, wurde uns hier abgenommen. In jedem Güterwaggon befanden sich etwa 38 Personen. Es mag Abend gewesen sein, als sich der Zug in Bewegung setzte. Nach einer 8-tägigen Irrfahrt über Eberswalde, Pasewalk und Magdeburg kamen wir schließlich im Lager Coswig/Sachsen-Anhalt an.
Nachwort Wir sind aus unserer seit Generationen angestammten Heimat Ostpreußen vertrieben worden, in der damaligen Sowjetische Besatzungszone sagte man beschönigend: umgesiedelt. Wir, die Frauen, Kinder und Greise, die überlebt haben, waren erleichtert, wieder Mensch sein zu dürfen. Ich möchte nicht ungerecht sein und verallgemeinern. Es hat auch mitfühlende und hilfsbereite russische Soldaten insbesondere unter den Offizieren gegeben. Oftmals haben diese mit einer gewissen Ohnmacht zusehen müssen, wie die errungenen Siege ihrer disziplinlosen Soldaten in Brutalität und Verbrechen ausarteten. Hinzu kam Stalins Befehl: „Nehmt Euch die blonden deutschen Frauen, sie sind Euer“. Dem einen oder anderen Leser mag meine Niederschrift vielleicht als kaum glaubhaft erscheinen; es war so und es ist die Wahrheit. Vielleicht vermag auch nur derjenige dies alles nachzuvollziehen, der ein vergleichbares Schicksal hatte. Wir waren einige Jahre kostenlose Arbeitskräfte, völlig rechtlose Zwangsarbeiter gewesen. Den Müttern, die ihre Kinder trotz der von mir aufgezeigten Entbehrungen und Entrechtungen über die Jahre gebracht haben, gilt meine Hochachtung und Verehrung. Als Kind ist man damals angesichts gewisser Situationen über sich hinaus gewachsen und hat Dinge getan und riskiert, die durchaus tödlich hätten enden können. Gegenüber den jetzt in meiner ostpreußischen Heimat lebenden russischen Menschen habe ich keine Hassgefühle. Ich pflege mit ihnen freundschaftliche Beziehungen. Beide Völker sollten bestrebt sein, dass sich die Vergangenheit nicht wiederholt. Aus einer Verantwortung gegenüber denen, die dem Hungertod oder anderen Verbrechen zum Opfer gefallen sind, halte ich es für wichtig, dass die verbrecherischen Taten der Roten Armee vor der Vergessenheit bewahrt werden; wir sind es den Opfern schuldig. Dazu soll auch diese Niederschrift dienen.
Publikationen von Herbert Laubstein Herbert Laubstein hat bislang drei Hefte zur Geschichte Schaaksvittes veröffentlicht: